Was nun?
Über Sackgassen und Auswege aus einer kranken Psychomedizin
AUSWEGE-Schriftenreihe „Psycholügen“, Band 9
Harald Wiesendanger
46 Seiten
Schönbrunn 2017
PDF-Format
Auch als
Buch erhältlich: 13,80 Euro
Hauptbeschreibung
Wenn nichts dagegen, aber eine Menge dafür spricht, Psycho-Profis zu entmachten, wie diese Schriftenreihe nahelegt: Was nun? Wissenschaftler forschen. Die Ergebnisse in die Praxis umzusetzen, ist nicht ihre Sache. Das sollten zuallererst jene tun, die davon betroffen sind, im Falle der Seelenheilkunde: wir alle. Welche Maßnahmen rechtfertigt, ja erfordert die
Faktenlage? Sie liefert Gründe, den psychologisch-psychiatrischen Bereich unseres Gesundheitswesens umfassend umzugestalten. Dieser Band sondiert die Chancen dafür. Sie stehen schlecht. Den Stein ins Rollen brächte am ehesten ein Musterprozess, im Vertrauen darauf, dass zumindest die „dritte Gewalt“, eine unabhängige Justiz, die Psycholobby in die Schranken weist.
Inhaltsverzeichnis
Was nun?
Vom Psycho-Expertentum zur heilsamen Gesellschaft - Skizze einer überfälligen Umwälzung
Anregungen für Unbequeme
Damit der Stein ins Rollen kommt
Anmerkungen
Leseprobe
Was empfinden Exorzisten, wenn respektlos hinterfragt wird, was ihre Teufelsaustreibungen bringen? So ähnlich muss Psychoprofis zumute sein, nachdem sie sich masochistisch eine Lektüre wie die Bände dieser Schriftenreihe ("Psycholügen") angetan haben. Denn die vorgetragenen Fakten und Argumente verdichten sich zu einer belämmernden Bestandsaufnahme:
Auf einem historischen Irrweg ist der modernen Seelenkunde ihr Gegenstand abhanden gekommen. Fächern nacheifernd, die Dinge erforschen, geriet ihr aus dem Blick, was unsereins von bloßen Dingen abhebt. Als empirische, um Objektivität bemühte Wissenschaften erhellt sie bestenfalls statistischen Durchschnitt, verfehlt aber den Einzelfall: dich und mich als Subjekte mit stets einmaligen Geschichten, Lebensumständen und Erlebnisperspektiven. Ihr Krankheitsbegriff ist ideologisch, ihre Diagnostik willkürlich und schädlich. Was unsere unverwechselbare Identität, unser Menschsein ausmacht, missachten ihre Theorien, verfehlen ihre Forschungsmethoden. Ihre Vorhersagen im Einzelfall sind kaum treffsicherer als Münzwürfe, ihre Techniken enttäuschend unwirksam, ihre Nebenwirkungen brandgefährlich, ihre Alleinzuständigkeitsansprüche aus all diesen Gründen vermessen, ihre Überheblichkeit unerträglich. Sobald es um uns nicht als Träger quantitativer Merkmale innerhalb gewisser statistisch zu kennzeichnender Gesamtheiten geht, sondern als einzigartige Personen, ist sie mit ihrem Latein am Ende: beim Beraten und Behandeln, beim Erklären und Voraussagen, was dieser Mensch denkt, fühlt und tut.
Was in uns als Subjekten vorgeht, erschließt keine Zugangsweise besser als Verstehen: eine großartige Kulturtechnik, die wir alle uns von Kindesbeinen angeeignet haben. Gute Erziehung, reichlich Lebenserfahrung, kommunikatives Geschick, Interesse, Achtsamkeit, Empathie und weitere Eigenschaften vorausgesetzt, verfeinern viele von uns sie nach und nach derart, dass sie mit Heilberuflern mindestens mithalten können. Weder muss noch kann ein Hochschulstudium diese Begabung verbessern, noch wird der wissenschaftliche Fortschritt sie entbehrlich machen. Ginge er jemals darüber hinweg, so verschwände eine Lebensform, die unserem einzigartigen Menschsein entspricht – eine Apokalypse ohnegleichen.
Soweit berufsmäßige Seelenhelfer erfolgreich sind, verdanken sie das mitnichten einem Wissensschatz, dessen ausschließlich Uniabsolventen habhaft werden können. In Wahrheit schöpfen sie letztlich aus derselben Quelle wie unsereins: Nur wer sich in ein Gegenüber mitfühlend hineinversetzen kann, statt ihn zum Anwendungsfall von Methodenlehren, abstrakten Theorien und Verhaltenswahrscheinlichkeiten herabzuwürdigen, ist imstande, einem seelisch Belasteten gerecht zu werden, ihn aufzufangen, ihm aus seinem Loch herauszuhelfen, ihn weiterzubringen, ihn seinen persönlichen Weg finden zu lassen.
Das ist keineswegs Glaubenssache. Kurioserweise ergibt es sich, zum Entsetzen von Seelenprofis, aus psychologischer Forschung. Zu deren gesichertsten Erkenntnissen, gestützt auf Hunderte von empirischen Studien, ein gutes Dutzend Metaanalysen und unzählige wohldokumentierte Fallbeispiele, zählt die verblüffende Feststellung: Wissenschaftlich ausgebildete Fachleute helfen bei psychischen Krisen im allgemeinen nicht besser als Laien. Eher erweisen sie sich diesen sogar als unterlegen, erst recht, wenn sie zwischenmenschliche Zuwendung durch synthetische Drogen ersetzen. Von unerheblichen akademischen Lorbeeren abgesehen, haben sie ihnen nichts voraus. Weder Ausbildung noch Berufserfahrung bringen sie garantiert weiter. Wie sonst könnten sie vor ihrem Studium nachweislich wirkungsvoller helfen als vorher, zu Beginn ihrer Praxistätigkeit besser als nach vielen Berufsjahren? (Siehe Schriftenreihe „Psycholügen“, Band 3.)
Der Expertokratie, der Psychoprofis Macht, Ansehen und Einkünfte verdanken, mangelt es folglich an Legitimation. Sie lebt davon, dass sie unbedacht abgenickt wird - durch irregeführte Hilfesuchende, wie auch von vielerlei willfährigen Beihelfern aus Politik, Medien und Gesellschaft. Die entscheidenden Fähigkeiten, auf die es bei psychologischer Beratung und Therapie ankommt, haben Profis vor und unabhängig von ihrer akademischen Ausbildung erworben und, wenn überhaupt, eher gegen diese als ihretwegen verbessert. Soweit berufsmäßige Seelenklempnerei nützt, gelingt ihr dies in erster Linie, indem sie auf liebevolle Zuwendung und Einfühlsamkeit setzt - auf methodenunabhängige Wirkfaktoren, die manche von uns ohne Uni, Titel und Diplome oftmals noch geschickter und hilfreicher ins Spiel zu bringen verstehen, wenn wir uns der seelischen Nöte unserer Mitmenschen annehmen. Wer dir und mir näherkommen und beistehen will, studiert besser das pralle Leben als Hochschulpsychologie.
Deshalb spricht nichts dagegen, aber eine Menge dafür, Laien in die medizinische Versorgung von entgleisten Psychen einzubeziehen - und ihnen endlich wieder jenen Stellenwert beizumessen, der ihnen jahrtausendelang zukam, ehe das Psychoprofitum um sich griff. Wieviel damit zu gewinnen ist, erweist sich beispielsweise in den Therapiecamps der Stiftung Auswege.
Soweit der erschütternde Befund. Was nun?
Das hängt davon ab, worum es uns geht. Bloß um unsere eigene psychische Gesundheit und die unserer Nächsten? Von Ausnahmefällen abgesehen - schwerste Krisen, in denen Betroffene zur Gefahr und unerträglichen Last werden, für Andere wie für sich selbst - fällt die Antwort dann kurz und klar aus: Setzen wir auf den begnadeten Empathen im Laien. Helfen wir einander und uns selbst. Machen wir Profis weitgehend arbeitslos. Verweigern und entziehen wir uns ihrem kranken System. Wir können es.
Aber wenn wir mehr wollen? Wenn uns daran liegt, das System zu heilen?